An Jenny (Sonette)

Jenny! Ist das hohe Gut mein eigen,
Süsses Seelenwesen, liebst Du mich?
Ha! Dein Geisterbusen hebet sich,
Und die zarten Purpurlippen schweigen!

Sollte sich der Himmel niederneigen,
Der schon längst aus meiner Seele wich,
Weggescheucht von Geistern fürchterlich;
Und in Dir sein schönstes Kleinod reichen?

Fieberisch verwirrte Traumgestalten,
In der Nächte Dunkel eingehüllt,
Wußten sich an meine Sehnsucht festzuhalten

Und sie tanzten um mich, Schattenbilder,
Bis Verzweif’lung bebend mich erfüllt,
Schwollen sie zu Riesen, groß und wilder

II

Und es tönte, wie aus Schreckenstiefen
Unerfaßbar aus der Seele Land:
„Ach! zerrissen ist der Liebe Band,
Und die Harmonien, die kaum entschliefen!“

„Welch‘ verweg’ne Trugdämonen riefen
Dir in zauberischem Prachtgewand
Auf der Liebe süßgeschwellten Brand,
Deren Aethernebel Wollust triefen?

Sie, die prangend bis zum Himmel glühet,
Himmel in des Herzens Tiefe wiegt,
Die verklärt ein Lichtgebilde sprühet,

Die so groß, wie Schönheits Allgedanken,
Nimmer hattest Du ihr Herz besiegt,
Und dein Bild mußt‘ längst im Nichts entschwanken.“

III

Und die Seele konnt‘ es nimmer fassen,
Weinte ungeheure Schmerzensgluth,
Rann dahin in wildbewegter Fluth,
Ewig, ewig hat sie dich verlassen!

Ha! verlacht hatt‘ ich der Welten Hassen,
Und verhöhnt der Elemente Wuth,
Stolz gehüllt in Busens Riesengluth,
Konnte selbst in ihrem Zürnen prassen.

Doch in leeres Nichts die Geister hallen,
Und zerschmettert sinkt des Busens Kraft,
Und die Pulse zitternd, bebend wallen,

Und vernichtet, aus der Bahn gerissen,
Von den Wellen brausend hingerafft,
Stürz‘ ich, muß ich Dich, mein Leben, missen.

IV

Doch noch ließ ich meine Leier klingen,
Treu aus tiefbewegter Dichterbrust
Ließ sie sprühn in Wehmuth und in Lust,
Mich in Melodien hinanzuschwingen.

Hin zu meiner Göttin auf zudringen,
Daß geheimnißvoll und unbewußt,
Sie der fernen Stätte nahen mußt‘,
Hergebannt durch Liebesgluth und Singen:

„Mag sie denn sich ewig von mir wenden,
Ewig bleibe ich ihr zugewandt,
Ewig werd‘ ich süsses Lied ihr spenden,

Ewig schwelgen in Erinn’rungstönen,
Bis die Sehnsucht todt das Herz gebrannt,
Geister sich auf Aetherwellen lehnen.“

V

„Ha! zu hoch blickt sie auf Dich hernieder,
Und zu herrlich prangt ihr süsses Licht,
Sehnen darfst du, doch erringen nicht,
Singen darfst Du heisse Weihelieder,

Doch dein Gluthensang, er tönt nicht wieder,
Echo ist der Schmerz, an dem er bricht,
Und der Träumerwahn sein Geistgewicht,
Luftgebilde bauen seine Glieder.

Zu den blauen, gold’nen Himmelssternen,
Darf dein Sehnen funkelnd aufwärtsfliehn,
Darf es fassen alle Näh‘ und Fernen,

Doch in Schmerzgewirktem Schattenkreise,
Muß es wieder bebend in sich ziehn,
Und von neuem tönt die alte Weise.“

vi

Und Du liebst mich! darf ich stolz mir’s sagen,
Und Du klärest meinen Erdensinn,
Und Du hebst hinan mich, zu Dir hin,
Und Dein Busen will mir liebend schlagen!

Ha! mein Geist vermag’s noch nicht zu tragen,
Und er taumelt vor dem Allgewinn,
Betet zu Dir, Himmelsköniginn,
Kaum kann er den Allgedanken wagen.

Kühner sprudeln jezt die Lebensgeister,
Drängen fluthend mich zu That und Wort,
Treten werd‘ ich jezt, ein Ruhmverklärter Meister

Herrschend in das wechselvolle Leben,
Und es klinge weit durch Welten fort,
Jenny, töne es, und ew’ges Streben!

VII

Und Du bebst vor Truggebor’nen Schatten,
Vor des Lebens jämmerlichem Zwang?
Laß es heulen seinen Bubensang,
Laß es nur in neid’schem Hohn ermatten,

Nimmer konnt‘ es sich dem Hohen gatten,
Nimmer fassen ew’gen Seelendrang,
Liebespein und Harmonienklang,
Weil es nied’re Geister inne hatten.

Doch noch lauter tönet meine Zyther,
Und noch kräft’ger schlägt mein liebend Herz,
Uebertönet Sturm und Ungewitter,

Faßt in allbelebten Riesenweiten
Dich und meinen Sehnsuchtsschmerz,
Und die Weltenschaar der Ewigkeiten.

VIII

Laß sie stürzen, Jenny, laß sie sinken,
Jahresreihn und Würmerschaar,
Laß in Dunkel und in Sturmgefahr,
Tausend Leben bleichen Tod sich trinken,

Aus der Nacht wird golden Licht uns blinken,
Und die Liebe beut uns Rettung dar,
Und das Auge hebt sich stolz und klar,
Und die ew’gen Himmelssterne winken.

Jenny liebt mich! und wo sind noch Schranken,
Klemmt uns nied’re Erdenfessel ein?
Wir verwehn in einen Allgedanken,

Und die Geister, stürmisch fortgezogen,
Glühn zusamm’n in einem ew’gen Sein,
Und der Erdenwurm stürzt in die Wogen

Text: Karl Marx, 1836
Musik: Michael Zachcial, 2018
zu hören auf: „Die wilden Lieder des jungen Marx“, Text stark gekürzt