Des Sängers letztes Lied (Ballade)

Buch der Liebe (1. Teil) | | 1818 |

Es steht der greise Sänger
Um Mitternacht allein
Die Brust pocht bang’ und bänger
Strömt in das All hinein

Von seiner Schulter schwebet
Herab ein Schleifenband,
An ihr ‘ne Leier bebet,
Gefaßt in Diamant

Die ist allein ihm eigen,
Die ist sein liebstes Gut,
Die Locken längst erbleichen,
Das Auge schießt noch Gluth.

Die Lüfte wehn gelinde,
Der Himmel lacht entzückt,
Er steht im lauen Winde,
Kein Schlaf sein Herz beglückt

Es hat ihn weggetrieben
Aus engem Schlafgemach,
Das All scheint er zu lieben,
Die Sterne sind sein Dach.

Dann tönt es zart und leise
Aus voller Dichterbrust,
Und stärker wird die Weise,
Und tiefer Schmerz und Lust:

„So pocht das Herz noch immer,
Wie einst im Jugendtraum,
Und Ruhe füllet nimmer,
Den kleinen, bangen Raum.”

„Noch immer so ungemessen
Treibt’s mich in das All und die Nacht,
Nicht sauget das Herz Vergessen,
Nicht schweigt die tiefe Macht.”

„Dem Siinger scheint es gegeben
Daß ein Gott ihn weitertreibt,
Daß ungestümm sein Leben
In dem Grabe nur stehen bleibt.”

„Und doch in der tiefsten Seele
Steht noch das erste Bild,
Gleich goldgefaßtem Juwele
So strahlend und hehr und mild.”

„Und wie es aufgegangen,
So glüht es ewig fort,
So bleibt es ewig Verlangen,
Und Gestaltung an keinem Ort.”

„Die Jahre ziehn herüber,
Hinüber mit Allgewalt,
Doch nimmer wird es trüber,
Stets bleibt ihm Aethergestalt.”

„Und der Greis will’s noch erreichen,
Den der Odem fast verläßt,
Und sieht’s doch stets entweichen,
Und hält das Bild nie fest.”

„So kann der Sänger nicht rasten
Bis das Feuerherz verglimmt
Bis Berge auf ihm lasten,
Bis er im Nichts verschwimmt.”

„So muß er ewig ringen
Nach Sonnenstrahl und Licht,
Bis Wellen ihn verschlingen,
Und bis sein Busen bricht.”

„So treibt’s ihn durch die Lande,
So muß er ewig fliehn,
Und wo er weilt, der Verbannte,
Muß Sehnen mit ihm ziehn.”

Den Sänger ergreift’s, wie Sehnen,
Und ungeheurer Schmerz,
Er muß auf die Zyther sich lehnen
Und pressen das greise Herz.

Er läßt die Blicke schweifen
Zum All und Aether hinauf,
0! könnt’ er sie ergreifen
In kühnem Titanenlauf!

Er steht da, so hehr und versunken,
Gleich einem leidenden Gott
Den Busen von Ahnungen trunken,
Beschämt er den kecksten Spott

Dann rafft er auf die Bürde,
Die hehre, greise Gestalt,
Steht da in Manneswürde,
Dann tönt’s mit Allgewalt

„Nur zweimal darf er halten
Das liebewarme Bild,
Die wogenden Gestalten,
Wird des Sängers Sehnen gestillt.”

„Wenn Liebe ihn durchdringet,
Die heisse Götterlust,
Und wenn er siegend singet,
Aus tiefbewegter Brust.”

„Fühlt dann sich so gewaltig
‘ner Rieseneiche gleich
Steht da, so gottgestaltig,
In seinem Wunderreich.”

„Schlürft heiß in langen Zügen,
Den Zauberbalsam ein,
Kann nimmer sich genügen,
Und schwelgt im Aetherschein.”

„Doch auch die Liebeswonne
Wird dem Armen zur Seelenpein,
Und in die helle Sonne
Wirft ein Gott den Schmerz hinein.”

„Der Sänger soll nur hoffen,
Bis ihm der Busen bricht,
Den Himmel sieht er offen,
erfassen darf er ihn nicht

„Drum nur, wie Glühn der Sterne
Das hohen Himmel schmückt
In weiter, weiter Ferne
Ist meine Liebe entrückt.”

„Mir darf nur die Göttin erscheinen
Wie aus fernem Aetherland
Ich darf nur stille weinen,
Den Blick zum Himmel gewandt.”

„Der Sang allein ist geblieben
Die ewige Himmelsgluth,
Und die Seele wird noch getrieben
Auf seiner Klangesfluth.”

„Hier darf ich noch umschlingen
Alle Höhen und Tiefen der Brust,
Hier darf noch frei erklingen,
Das Ewige, Sehnen und Lust.”

„0! dürfte die Seele verhauchen
In heissem Sängerdrang,
Dürft  sie noch sterbend sich tauchen
In Harmonie und Gesang!”

„Wenn die Welten noch einmal entstiegen,
Aus tiefer Brust sich aufgethan,
Dürft’ ich dann sterbend siegen,
Verklärt der Geliebten nahn!”

Und über die bleichen Wangen
‘ne grosse Thräne rollt,
Und des Busens tiefem Verlangen
Der Greis ein Opfer zollt

Und noch einmal stimmt er die Saiten,
Noch einmal erschallt es hehr
Dann läßt er die Leier gleiten,
Und singet nimmermehr.